FISCHE


Das schiefe Maul der Flunder

In der alten Zeit, als Gott noch auf der Erde wanderte, ging er einmal auf dem Ufer der See. Dort sah er zufällig eine Flunder. Gott fragte:
"Wohin des Weges?"
Die Flunder zog ihr Maul schief und antwortete:
"Ich gehe auf den Sand flattern."
Von dieser Zeit an hat die Flander ein schiefes Maul und ihre Lieblingsstelle ist in der Nähe des Ufers, wo man sie immer flattern sehen kann.

226. Das schiefe Maul der Flunder. E 30759/60 (5) < Jämaja - A. Kuldsaar 1897. - AT 250 A - 4 Varianten.



Die Beschwerde des Fisches

Einmal beschwerte sich ein Fisch bei Gott, daß die Menschen ihn nicht in der See frei schwimmen lassen, sondern überall große Wände aufstellen.
Darauf erwiderte Gott:
"Drücke die Wände nieder!"

227. Die Beschwerde des Fisches. E 63291 (14) < Jämaja - A. Kuldsaar (1928). - AT 253* - die einzige Variante.



Die Bitte des Fisches

Der Fisch bat Gott:
"Wenn du mit mir das Volk fütterst, gib mich weder einem so reichen Menschen, der meine Haut abzieht, wenn er ißt, noch einem so armen, der meine Augen aufißt."
Deshalb blieb es so, daß Arme sowie Reiche Fisch essen dürfen, aber die Haut ziehen sie nicht ab.

228. Die Bitte des Fisches. ERA II 54, 487 (522) < Tartu-Maarja - Richard Viidalepp < Kaarel Jürjenson (1932). - [Mtº 255] - 13 Varianten. Eine auf einem Naturgespräch fußende sagenmäßige Geschichte, von deren Varianten man einige bedingt auch zu den Tiermächen zählen kann. Auch als Sprichwort verzeichnet: EV 3055.



Der Kaulbarsch und der Wels

Einem Hecht fiel einmal der verrückte Gedanke ein, durch die Flüsse Halliste, Riisa und Navesti in den Peipussee zu schwimmen. Er traf unterwegs einen Kaulbarsch und fragte:
"Wohin führt dein Weg, Brüderchen?"
Der Wels sprach von seinem Vorhaben, überhaupt wegzugehen. Der Kaulbarsch riet dem Wels von dem Gedanken ab und sagte:
"Auch ich hatte einmal einen solchen Gedanken, aber siehe, wie klein ich, Unglücklicher, geworden bin. Früher war meine Stirn sieben Spannen breit, der steinerne Boden des Flusses hat sie aber ganz schmal geschliffen."
Der Wels hörte sich das an und kehrte zurück zu dem Ort, wo er aufgewachsen war.
Von dieser Zeit an sind die obengenannten Flüsse sehr reich an Fischen. Es gibt viele Welse, Aale und Krebse.
Hier muß ich hinzufügen, daß man anderswo in Estland kaum Flüsse finden kann, deren Fischreichtum mit jenen vergleichbar wäre. Früher gab es hier auch reichlich Lachse und Renken, aber der berühmte Damm der Fabrik von Sindi trennt den Fluß von der See und als der Damm gebaut wurde, starben diese Fische in unserem Fluß aus.
Der wohlbekannte Jakobson1 wollte diesen Fehler beseitigen. Unter dem Volk wurde geredet, daß man vor den Damm eine große Fischtreppe2 bauen wolle. Jakobson starb und deshalb wurde von der Fischtreppe nichts. Vor ein paar Jahren wurde das Geschlecht des Aals von hier nach Deutschland gebracht.

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1 Carl Robert Jakobson (1841-1882); 2 eine treppenähnliche Stufenfolge für Fische zur Bewältigung der Hindernisse im Fluß

229. Der Kaulbarsch und der Wels. H II 21, 804 (2) < Tori - Chr. Tults (1889). - Mtº 256 - 15 Varianten. Die bisherigen Aufzeichnungen stammen nur aus Estland und auch hier meistens aus der Gegend um den Võrtsjärv-See. Viele Varianten haben ein sagenmäßiges Ende - sie erklären, warum die hiesigen Flüsse so fischreich sind oder warum der Abstand der Augen beim Kaulbarsch so eng ist.



Der Kaulbarsch schlichtet den Streit der sich zankenden Fische

Man nennt den Kaulbarsch mit dem anderen Namen Streithahn. Er soll immer mit anderen Fischen streiten.
Einmal sollen zwei große Fische gestritten haben. Andere Fische versuchten es, sie zu versöhnen, aber ohne Erfolg. Zum Schluß kamen sie auf den Gedanken, daß der alte Kaulbarsch vielleicht den Streit beenden könnte.
Sie suchten und suchten, aber konnten den Kaulbarsch nirgendwo finden. Nach langer Suche fand man ihn unter einem Steinrand.
Sie erzählten dem Kaulbarsch die Geschichte von dem Streit und sagten, daß sie die Streitenden nicht versöhnen können, vielleicht hätte er mehr Glück.
Der Kaulbarsch war gleich einverstanden und ging. Als sie in die Nähe der Streitenden gekommen war, breitete er seine scharfen Borsten aus und gab den beiden einen solchen Schub, daß der Streit gleich zu Ende war. Die zwei schlüpften weg. Es ist zwar schändlich zu fliehen, für die Gesundheit ist das aber gut.
Der Kaulbarsch soll seine Borsten oder Kiemen spreizen und nach oben schlagen. Er hat scharfe und starke Kiemen wie Nadel. Sie tun richtig weg, wenn er sticht.
Alle anderen Fische haben schwache Borsten.

230. Der Kaulbarsch schlichtet den Streit der sich zankenden Fische. RKM II 278, 209/10 (11) < Palamuse - Julius Sildvee < vom Sammler (1970). - Mtº 257 - die einzige Variante.