Aus dem innerem und äusseren Leben der Ehsten
F. J. Wiedemann


Inhalt

Vorwort

1. Sprichwörter und sprichwörtliche Redensarten, Sentenzen, geflügelte Worte

2. Umschreibende, bildliche und verblümte Bezeichnungen und Redensarten

3. Sprichwörtliche Vergleichungen

4. Wünsche, Verwünschungen, Betheuerungen, Spitznamen

5. Räthsel

6. Deutungen von Vogelstimmen und anderen Lauten, Buchstaben

7. Spiele

8. Gebräuche bei Vorkommnissen des Familienlebens

9. Haushalt
a) Regele und Gebräuche
b) Omina für den ländlichen Haushalt

10. Witterungsomina

11. Bedeutung gewisser Zeiten und Tage im Jahr und was an denselben gethan oder unterlassen werden muss

12. Heilmittel, natürliche und sympathetische

13. Zauber und Mittel dagegen

14. Heilige und bedeutungsvolle Stellen, Opfer und Gebräuche bei denselben

15. Uebermenschliche Wesen

16. Abergläubische Vorstellungen von natürlichen Wesen und Naturerscheinungen

17. Abergläubische Vorstellungen von Andeutungen dessen, was geschieht oder geschehen wird (Omina, Orakel)

18. Verschiedene abergläubische Gebräuche und Vorstellungen von Ursachen und Wirkungen

IX. Haushalt

a) Regeln und Gebräuche

Wenn der ungebildete Ehste bei Vornahme seiner ländlichen Arbeiten auf Feld und Wiese, im Walde und Hofe auf feuchtes oder trockenes, kaltes oder warmes Wetter sieht, so befindet er sich dabei auch mit dem rationellen Landwirthe wohl in Uebereinstimmung, weil da der Zusammenhang der Folgen mit dem Vorhergegangenen leicht in die Augen springt. Er thut aber ausserdem auch noch vieles Andere, wobei der Gebildete an einen solchen Zusammenhang nicht glauben mag, und was man daher vielleicht zum Abschnitt XVIII stellen möchte. Manches ist auch wirklich dahin gestellt worden, Anderes gründet sich indessen in der Anschauung des einfachen, immer in der freien Natur lebenden Landmannes auf - wenn auch zum Theil wohl nur vermeintliche - Erfahrung, und ist in so fern doch nicht mit den in ganz dunkelem und unbestimmtem Aberglauben erwarteten Wirkungen zusammen zu werfen. Eine bestimmte Grenze hier zu ziehen, wird freilich nicht möglich sein. Das Gute oder Schlimme, das ihn selbst oder einen Andern getroffen hat, wenn er gewisse Arbeiten bei diesen oder jenen Luft- und Bodenzuständen, bei diesen oder jenen gleichzeitigen Vorgängen in der Natur unternahm, hat er sich gemerkt, und er sucht einfach die gemachte Erfahrung zu verwerthen, wenn er auch nicht Rechenschalt zu geben weiss über den Zusammenhang zwischen den Ursachen und den erwarteten Folgen. Die Landleute machen es auch in anderen Ländern ja vielfach eben so. Hieher gehört besonders das Beachten des Mondlichtes und der Windrichtung, aber auch noch Anderes.

Der beim Hausbau gebrauchte Lehm wird bei altem Mondlicht gebracht, damit nicht Heimchen ins Haus kommen; vielleicht wirkt hierbei auch noch der Glaube, dass das Heimchen nichts weiter sei als die ins Haus geschlüpfte Feldgrille. - Ein Dach muss bei altem, ein Zaun dagegen bei neuem Licht gemacht werden, wenn sie dauerhaft sein und nicht bald faulen sollen. - Zu Nutzholz wird Nadelholz bei neuem, Laubholz bei altem Licht gefällt. - Zu einer Pflugschar muss das Holz bei altem Licht gefällt und verarbeitet werden, damit es nicht zu schnell eintrocknet und wackelig wird. - Das Abhauen von Gesträuch, dem gewöhnlichen Heizmaterial, nimmt man bei neuem Lichte vor, weil dann alles Abgehauene und Abgeschnittene (auch Haare und Nägel) schneller wieder nachwächst und ersetzt wird. - Das Eisen zu einer Sense wird bei neuem Lichte geschmiedet, weil dann ebenfalls das Gras gut wieder nach wächst, eben so das für die Schar des Saatpfluges, damit das Gesäete gut wachse; soll dagegen der Pflug zum Aufpflügen eines Brachfeldes dienen, so wird das Schareisen bei altem Lichte geschmiedet, damit das Feld nicht zu stark wieder vergrase. - Kälber werden, so wie Kinder, bei altem Licht entwöhnt. - Junge Pferde werden bei neuem, alte Pferde bei altem Licht beschlagen, damit die Hufeisen länger haften. - Das Schlachten der Thiere geschieht bei neuem Licht. - Flachs darf nicht gesäet werden bei neuem Licht, oder wenn Sonne und Mond zugleich am Himmel sichtbar sind. - Wurzelgemüse säet man bei altem, anderes Gemüse bei neuem Licht; Andere meinen, dass bei neuem Licht gesäete Erbsen wohl stark blühen, aber wenig Körner ansetzen. - Die Düngerfuhr muss bei neuem Licht vorgenommen werden, Andere halten jedoch die Zeit des alten Lichtes für die geeignetere. - Mehl und Grütze, welche zum Aufbewahren bestimmt sind, werden bei altem Lichte gemahlen, damit nicht Milben hinein kommen. - Das Freien geschieht zwar am besten zur Zeit des Neumondes (vgl. VIII), das Heirathen aber bei altem Licht, damit nicht die Ehe kinderlos bleibe. - Lichte macht man zur Zeit des Vollmondes, damit sie recht hell brennen. - Eben so ist bei Vollmond auch die beste Zeit für die Saat von allerlei Getreide.

Das Schlachten nimmt man gern bei Süd- oder Westwinden vor. - Gegen den Wind, welcher am Matthiastage (24. Februar) geweht hat, säet man wohl Flachs, aber nicht Gerste oder Weizen; für die Flachssaat wird auch der Nordwind als günstig angesehen, aber nicht für die Saat von Hülsenfrüchten. Gemüse soll man nicht bei Nordwind säen, weil es dann beim Kochen hart bleibt.

Zur Ausfuhr des Düngers wählt man einen Tag, wo milder Wind weht, weil bei Nordwinde ausgeführter nicht so leicht verrotten soll.

Den Schweinen streut man Spiessglanz aus das Futter, damit sie fett werden, macht ihnen das Futter mit der Hand zurecht, “weil das Schweinefleisch, welches gegessen wird, ja doch auch in die Hand genommen wird”.

Von den Frühlingsarbeiten gilt der Spruch: küünla-päevast seitse seuse, kaheksa karja, kümme kündi, üks teist kümmend Jürgi (von Lichtmess sind sieben, sc. Wochen, bis zum Schweinehüten, acht bis zur Viehhütung, zehn bis zum Pflügen, elf bis St. Georg), doch möchten in gewöhnlichen Jahren die Termine, bis auf den letzten, wohl etwas später fallen, denn in der Regel gilt wohl z. B. der St. Georgstag als der, wo die Herde zum ersten Mal auf die Weide getrieben wird.

Getreide, das gesäet werden soll probirt man zuvor im Wasser, um seine Keimkraft zu ermessen. Nehmen alle Körner eine senkrechte Stellung an, so verden sie gut keimen, stellen sie sich schräg, so werden sie kümmerlich keimem, bleiben sie horizontal, gar nicht.

Bei Regenwetler darf man nicht säen, weil dann auch das Unkraut im Getreide gedeihen würde.

Dichte Saat hält man für schädlich, dünne soll dem Wachsen förderlich sein.

Wenn im Frühjahr der Mistkäfer Milben - der Ehste hält sie für die Jungen - am Vordertheil des Körpers hat, oder wenn der Schnee zuerst innerhalb des Zaunes schmilzt, so muss man das Sommergetreide früh säen, spät dagegen, wenn die Milben am Hinterkörper sitzen, oder wenn der Schnee zuerst ausserhalb des Zaunes schmilzt.

Sommerweizen ist gut zu säen, wenn die Traubenkirsche (Prunus Padus L.) blüht.

Sommergetreide ist in “eine Lache” zu säen, Wintergetreide in “Asche”, d. h. in nassen und in trockenen Boden.

Alte Roggensaat muss man früh (10. August) in schweren Boden säen, frische spät (24. August) in leichten Boden, und alle Roggensaat “will immer den Himmel sehen”, d. h. sie darf nicht tief in der Erde liegen.

Wenn man Sommerroggen spät, zwei Wochen vor Johannis säet, so erst im folgenden Jahre erntet und diess mit dem Geernteten noch zwei Mal wiederholt, so verwandelt er sich in Winterroggen.

Den Flachs säet man gern in neu aufgebrochenes Land, um ihn von Leindotter frei zu erhalten.

Gemüse säet man auf niedrigen Boden, wenn im Frühjahr die Wege löcherig wurden und niedriger als die Seiten, auf hohen Boden, wenn neben den Wegen der Schnee früher schmolz, und diese erhöht waren. Bohnen säet man am liebsten dann, wenn die Engerlinge aus der Erde hervor kommen, weil dann kein Frost mehr zu besorgen ist.

Das Versetzen der Kohlpflanzen darf nicht bis nach der Sonnenwende verschoben werden, sonst bilden sie keine Köpfe mehr. Die Erdflöhe vertreibt man von ihnen mit einer Abkochung des Sumpfposts (Ledum palustre L.), die Raupen mit dem Rauch von Wacholder, welcher von eines dritten Herren Gebiet genommen ist, oder von der verbrannten Weihnachtsstreu; gegen die Raupen auf Bäumen hängt man zwischen die Zweige Büschel vom Sumpfpost.

Von der Erntezeit hat man den Spruch: Madelene, od. Madli, toob häda-leiba, Jaagub annab suure kaku (Magdalena bringt Nothbrot, Jacob giebt ein grosses Laib), d. h. am Tage Maria Magdalena (22. Juli) hat man zur Noth schon Brot von frischem Getreide, zu Jacobi (25. Juli, dem ordentlichen Termin des Roggenschnitts) hat man schon reichlich; vielleicht auch mit dem Hintergedanken, dass die Ernte spärlicher ist, wenn durch Dürre die Reife zu früh eintritt. Andere nennen statt jener beiden Tage auch Mareta-päev und Olevi-päev (13. und 29. Juli).

b) Omina für den ländlichen Haushalt

Sind im Winter die Wege höller beschneit als andere Stellen (tee harjas der Weg dachförmig) so giebt es im nächsten Sommer gutes Sommergetreide.

Wenn es um Martini (10. November) zaunhohe Schneetriften giebt, so wird im folgenden Jahre die Gerste gut gedeihen.

Wenn im Frühjahr am Dachrande viel Eiszapfen hängen, so wird das Getreide gut wachsen.

Wenn es zu St. Georg (23. April) regnet, besonders bei Nordwind, so misslingt die Roggenernte.

Von einem trockenen Jahre ist doch noch etwas zu erwarten, ein nasses ist ein Hungerjahr (vgl. in I. die Sprichwörter Kuiv aasta on ahtra lehma eest, märg aasta jätab üsna ilma, Põua lapsed naeravad, vihma lapsed nutavad, Põua jäljed paranevad, vihma jäljed ei parane, Põvva latse' ei ike nii kui vihma latse').

Wenn im Anfang des Jahres viel Rauhreif ist, so wird es ein gutes GetreideJahr, eben so wenn zu Neujahr die Bäume mit Schnee bedeckt sind, oder wenn es am Matthiastag (24. Februar) tüchtig stöbert.

Hat ein Pferd Nisse nach dem Kopfe zu, so bedeutet es ein kornreiches Jahr, nach hinten, das Gegentheil.

Wenn es zu Lichtmess thaut, so wird die Gerstenernte schlecht sein.

Wenn es am Markustage (25. April) nicht friert, so wird auch der Gerste der Frost nicht schaden, und sie wird gut reifen.

Wenn im Frühjahr der Froschlaich erfriert, so erfriert auch das Sommergetreide im Herbst.

Wenn am Martinstag (10. November) die Plejaden hell untergehen, so folgt ein gutes Jahr.

Regen vor Johannis thut gut, nach Johannis ist er nachtheilig.

Regen im Frühjahr und bei neuem Licht bringt Gedeihen, im Herbst und bei altem Liebt Schaden.

Wenn es am Margarethentage (13. Juli) trockenes Wetter ist, so giebt es einen schönen Herbst.

Ist das Brachfeld sehr hart zu pflügen, so giebt es körnerreichen Roggen.

Gewitter von der Seeseite bringt Fische, von der Landseite Kälte, Gewitter vor St. Georg bedeutet Kälte und verspricht eine gute Getreideernte.

Wenn am Quatember der Wind von daher weht, von wo die Fischer Fische erwarten, so lässt das auf einen guten Fischfang hoffen.

Der Nordwestwind ist ein “Himmels- und Meeresbesen”, er fegt die Wolken und die Fische fort.

Wenn vor St. Georg sich Thau auf dem Boden zeigt, so wird der Roggen vor Jacobi (25. Juli) reif sein.

Wenn in der Weihnachtsnacht Sterne am Himmel zu sehen sind, so wird das Vieh sich vermehren, wenn es trüb ist, so bedeutet es gute Getreideernte, ist aber Kahlfrost, so wird es in beiden Stücken knapp sein.

Dürre am Margarethentage, so wie Thauwetter zu Lichtmess, bedeutet ein Hungerjahr.

Wenn es zu Lichtmess (nach Anderen am Antoniustag 17. Januar oder am Siebenbrüdertag 10. Juli) auch nur so viel Sonnenschein giebt, dass ein Mann während dessen zu Pferde steigen kann, so wird das Heu trocken eingebracht werden.

Laurentius (10. Aug.) breitet die Blätter des Kohls aus, Bartholomäus (24. Aug.) dreht sie in Köpfe zusammen.

Wenn die Hänflinge im Frühjahr erscheinen, so “zertreten sie das Eis”, und wenn diess früh geschieht, so wird der Flachs gut gedeihen.

Ist zu Fastnacht der Mond drei Tage alt, so wird es ein gutes Jahr, ist er schon im ersten Viertel, ein schlechtes.

Wenn die Kraniche früh weg ziehen, so ist günstige Zeit für die Roggensaat.

Wenn im Sommer viel Fliegen da sind, so bedeutet das eine reiche Roggenernte.

Wenn die Schnarrwachtel sich auf der Wiese hören lässt, so verkündet sie eine gute Heuernte, wenn im Felde, eine gute Getreideernte.

Der Kibitz bringt einen Handschuh voll Heu, die Kronschnepfe ein Fuder oder einen Sack voll, der Kranich einen Schober; nach Anderen bringt die Kronschnepfe ein Fuder Heu, der Kibitz kahle Hügel.

Wenn der Steinschmätzer (Oenanthe Saxicola) einzelne Pfiffe hören lässt, so wird das Getreide missrathen, lässt er sich in doppelten Pfiffen hören, so wird die Ernte gut sein.

Wenn die Lerche im Februar bei altem Licht erscheint, so bringt sie gute Botschaft, d. h. verspricht ein fruchtbares Jahr.

Wenn ein Kalb bei neuem Licht geboren ist, so wird es besser gedeihen, als wenn bei altem.

Erscheint der Kuckuck bei schon belaubten Zweigen, so wird es ein Hungerjahr sein, bei noch unbelaubten, ein reiches; umgekehrt ist es mit der Nachtigall.

Wenn zur Zeit der Roggensaat viel Spinngewebe auf der Erde liegt, so wird das Roggengras gut wachsen.

Wo unter einem Steine schwarze Ameisen sind, da ist es gut ein Haus zu bauen.

Wenn vor St. Georg dem von der Weide kommenden Vieh am Maul Strohhalme hängen, so wird ein schlechtes Getreidejahr sein, wenn Heuhalme, ein schlechtes Heujahr.

Wenn im Frühjahr die Espen stark blühen, so wird die Haterernte gut sein.

Giebt es im Frühjahr viel hängende Erlenkätzchen (von Alnus incana), so bedeutet es eine gute Roggenernte, wenn viel rundliche (pabala-urvad, odra-urvad, von Alnus glatinosa), eine gute Gerstenernte; sind beide venig vorhanden, so bedeutet es ein Hungerjahr, nach Anderen auch, wenn die letzten allein reichlich vorhanden sind (nälja urvad, Hungerkätzchen).

Trägt die Eberesche (Sorbus Aucuparia L.) wenig Beeren, so wird die Gerstenernte schlecht ausfallen.

Wenn die Blüthe der Obstbäume in zwei Monate fällt, so wird es reichlich Obst geben.

Sind die Fichten voll Zapfen, so verheissen sie eine reiche Kartoffelernte.

Wenn ein Roggenfeld zur Blüthezeit raucht, so wird es kornreiche Aehren geben.

Der Becherschwamm (külvi-vakk) bezeichnet, wenn er mit Samenschläuchen gefüllt ist, eine gute Ernte für das folgende Jahr.

Wenn der Wald sich schnell belaubt, so muss der Landmann eilen mit der Saat.

Das Wetterleuchten säet Pilze aus und zeitigt das Getreide; man giebt ihm darnach verschiedene Namen (suve-vilja-pälk, talve-vilja-p., seene-p.).

Um Martini soll ein grosser Stern dem Vollmond entweder vorangehen oder nachfolgen, die Ehsten sagen davon: pere-mees otsib sulast taga (der Hausvater sucht den Knecht) und sulane otsib pere-meest, od. leiba, taga (der Knecht sucht einen Herren, od. Brot); das Erste soll ein fruchtbares, das Zweite ein unfruchtbares Jahr prophezeien.